Im Garten des Hauses von Walther Seinsch steht ein Buddha aus Stein so deut­lich am Ende des per­fekt gepflegten Rasens plat­ziert, dass man ihn für ein Bekenntnis halten könnte. Den habe ich aus dem Gar­ten­center“, ruft der Prä­si­dent des FC Augs­burg von der Küche her­über und kommt mit dem Kaffee zurück ins Wohn­zimmer, das die Größe einer Schul­turn­halle hat. Kunst­bände und Rei­se­bü­cher stehen in den Regalen, eine beein­dru­ckende Fens­ter­front geht zum Garten hinaus. Als Seinsch sich setzt, sagt er, dass ihm an der bud­dhis­ti­schen Welt­an­schauung einiges gefällt. Er sagt das so betont bei­läufig, als wolle er dar­über nicht reden. Und die sanfte Stimme des 69-Jäh­rigen täuscht nicht dar­über hinweg, dass er es gewohnt ist, sich und seinen Willen durch­zu­setzen.

Das war schon früh so, als er mit 14 Jahren die Schule ver­ließ, eine Lehre als Steu­er­be­rater begann und bereits zwei Neben­jobs hatte. Später kämpfte Seinsch sich zum Manager bei Kaufhof hoch und grün­dete schließ­lich die beiden Tex­til­markt­ketten Takko und Kik. 1997 ver­kaufte er sie, um in einen Ruhe­stand zu gehen, der natür­lich keiner werden sollte. Denn Seinsch küm­mert sich nun noch mehr um seine neun Kinder, von denen sechs adop­tiert sind. Er enga­gierte sich zwi­schen­zeit­lich poli­tisch und grün­dete zudem die Stif­tung Gegen Ver­gessen. Für Demo­kratie“, die For­schungs­ar­beiten über den Natio­nal­so­zia­lismus unter­stützt. Nicht zuletzt suchte er aber einen Verein, um seiner Fuß­ball­be­geis­te­rung eine Heimat zu geben.

Ein­zel­gänger, die ihre Klubs erst groß machten

In der Geschichte der Bun­des­liga hat es immer wieder Männer gegeben, die alleine Klubs groß machten. Klaus Steil­mann, wie Seinsch ein Tex­til­un­ter­nehmer, bei Wat­ten­scheid 09, der legen­däre Jean Löring bei For­tuna Köln oder zuletzt Dietmar Hopp in Hof­fen­heim. Doch bei Seinsch liegt der Fall trotz einiger Par­al­lelen anders. Als sich zur Jahr­tau­send­wende her­um­ge­spro­chen hatte, dass in Lindau am Bodensee, wo er damals vor allem lebte, ein so fuß­ball­ver­rückter wie wohl­ha­bender Mann gerne bei einem Klub ein­steigen würde, ver­standen die Bitt­steller zumeist nicht, dass dieser mehr wollte, als ein­fach nur geplün­derte Kassen auf­zu­füllen.

Er ist ein Visionär und als klas­si­scher Unter­nehmer zugleich kno­chen­tro­cken“, sagt Augs­burgs Manager Andreas Rettig. Wer Seinsch in seinem pink­far­benen Polo­hemd und weißen Turn­schuhen für einen erfolg­rei­chen Macher hält, der es mit zuneh­mendem Alter etwas lockerer angehen lässt und sein Golf­han­dicap ver­bes­sern will, der täuscht sich. Seinsch ist auch keiner dieser Männer, die sich einen Fuß­ball­klub als Spiel­zeug halten, damit Gesel­lig­keit erkaufen oder zur Befrie­di­gung der per­sön­li­chen Eitel­keit leisten. Ich habe mein Ego schon in frü­heren Zeiten befrie­digt“, sagte er.

Seinsch bekommt leuch­tende Augen: Liver­pool!“

Was ihn am Fuß­ball wirk­lich fas­zi­niert, liegt zunächst vor allem den Gefühlen vieler nor­maler Fans ver­blüf­fend nahe. Man merkt das etwa, wenn Seinsch voller Begeis­te­rung von einem Traum zu erzählen beginnt, den er kürz­lich in der Sta­di­on­zei­tung beschrieben hat. Er han­delt von einem Euro­pa­po­kal­spiel des FC Augs­burg, bei dem er von 20000 Fans begleitet wird, die jede Aktion des Teams auf dem Platz beju­beln und mit der Anfeue­rung nicht auf­hören, obwohl es zur Pause mit 0:3 zurück­liegt. Mit dieser Unter­stüt­zung schafft die Mann­schaft in der zweiten Halb­zeit die Wende und gewinnt noch 4:3. Sie wissen schon, worauf ich mich da bezogen habe“, sagt Seinsch mit leuch­tenden Augen und gibt die Ant­wort gleich selbst: Liver­pool!“ Die Eng­länder gewannen gegen den AC Mai­land vor sechs Jahren das Finale der Cham­pions League und fei­erten eines der größten Come­backs der Fuß­ball­ge­schichte auch des­halb, weil ihre Fans nie den Glauben daran ver­loren.
Doch die Fuß­ball­träume des Walther Seinsch enden nicht hier, beim Spiel und seinen Mythen. Es macht ja gerade der Begriff ›Sozi­al­ro­man­tiker‹ die Runde, aber Seinsch ist wirk­lich einer“, sagt Walter Sianos. Den Fan­be­auf­tragten hat Seinsch in den Auf­sichtsrat des FCA geholt, weil er fand, dort sollte ein Ver­treter der Anhän­ger­schaft sitzen. Gerade die Fans, die lange dabei sind, lieben ihn“, sagt Sianos. Sie haben ihn oft genug als deftig volks­nahen Prä­si­denten zum Anfassen erlebt und können sich daran erin­nern, dass Seinsch beim FCA nicht zuletzt des­halb ein­stieg, weil dort ein Fuß­ball gegen Rassismus“-Transparent am Zaun hing.

Wir müssen das Posi­tive, Mensch­liche und Soziale, das der Fuß­ball mit sich bringt, so weit wie mög­lich erhalten“, sagt Seinsch, und das führt bei ihm zu mit­unter ver­blüf­fenden Hal­tungen. Die Pro­teste gegen Mon­tags­spiele in der zweiten Liga kri­ti­siert er als ego­is­tisch, weil doch sonst nicht Hun­dert­tau­sende die Spiele im Free-TV sehen könnten. Ande­rer­seits hat er neu­lich bei einem Treffen mit Fans die Ein­rich­tung einer Sozi­al­kasse für jene vor­ge­schlagen, die unter Hartz IV fallen und plötz­lich nicht mehr genug Geld für eine Ein­tritts­karte haben. Ich fand die Idee toll, der Verein hätte sogar etwas dazu­getan, aber sie hatte null Reso­nanz“, sagt Seinsch.
Er denkt eher sozi­al­prak­tisch als sozi­al­ro­man­tisch und beschwört kein Fuß­ball­i­dyll: Fast das ganze Leben ist Kom­merz, und wir sind es auch. Wer das nicht akzep­tieren will, muss zu Schwaben Augs­burg gehen, aber die spielen eben in der Lan­des­liga.“

50 Stunden in der Woche für ein neues Sta­dion

Manager Andreas Rettig hat oft genug erlebt, wie grantig Seinsch werden kann, wenn auf der Geschäfts­stelle des Klubs zu viel Papier ver­braucht wird oder die Putz­frau zu oft kommt. Saniert hat er den FC Augs­burg nicht durch groß­zü­gige Ali­mente, son­dern klas­sisch unter­neh­me­risch. Seinsch stieg im Januar 2000 erst ein, nachdem der mit vier Mil­lionen Euro über­schul­dete Verein aus finan­zi­ellen Gründen keine Lizenz bekam und in die vierte Liga abge­stiegen war. Dann setzte er bei den Gläu­bi­gern zunächst einen mas­siven Schul­den­er­lass durch und brachte anschlie­ßend vor allem seine Arbeits­kraft ein. In den ersten Jahren waren das oft mehr als 50 Stunden in der Woche, in denen es vor allem darum ging, den Bau eines neuen Sta­dions durch­zu­setzen.

Dabei hat der ehe­ma­lige Unter­nehmer sein finan­zi­elles Enga­ge­ment beim Klub bewusst als Invest­ment ange­legt. Zum Bau der vor zwei Jahren eröff­neten Arena steu­erten er und eine Gruppe von sechs Inves­toren, deren Namen er bis heute ver­schweigt, rund 25 der ins­ge­samt 47 Mil­lionen Euro Bau­kosten bei. Über die Jahre muss der Klub das über die Sta­di­onmiete zurück­zahlen. Die Höhe hängt von der Liga ab, um die sport­liche Leis­tungs­fä­hig­keit nicht zu schmä­lern. Auch die Inves­ti­tionen in die Mann­schaft kommen laut Seinsch teil­weise aus dem Pool dieser Inves­toren. Wie es nicht anders sein kann, ist im Laufe der Jahre viel mehr Geld geflossen, als eigent­lich geplant war. Aber wenn man einmal den Fuß in der Tür hat, kann man nicht zurück­ziehen, sonst ist das Geld futsch“, sagt er.

Seinsch grün­dete KiK – heute Mus­ter­bei­spiele für Lohn­dum­ping

Manchmal macht es den Ein­druck, als würde Seinsch das kühl Geschäfts­mä­ßige über­be­tonen und seine Rolle beim Auf­stieg des FC Augs­burg bewusst her­un­ter­spielen. Und immer hört man dabei die Stimme des Unter­neh­mer­tums der alten Bun­des­re­pu­blik durch, in der Fleiß und demons­tra­tive Beschei­den­heit wichtig waren und Sozi­al­part­ner­schaft noch nicht unge­bremstem Libe­ra­lismus Platz gemacht hatte. Daher ist es eine selt­same Ironie, dass gerade jene KiK-Tex­til­märkte, die Seinsch einst grün­dete, heute als Mus­ter­bei­spiel für Lohn­dum­ping und Arbeit­neh­mer­feind­lich­keit gelten: Es ärgert mich schon, dass es diese Dinge gibt, denn ich habe es nicht so gemacht“, sagt er. Beim FC Augs­burg ist der respekt­volle Umgang mit­ein­ander sogar in einem Ehren­kodex fest­ge­legt, den vor jeder Saison alle Mit­ar­beiter unter­schreiben müssen. Auch der Prä­si­dent, der ihn selbst for­mu­liert hat. Dem­nach ist nie­mandem erlaubt, sich in der Öffent­lich­keit schlecht über Per­sonen oder Ent­schei­dungen beim Klub zu äußern.

All das macht es noch tra­gi­scher, dass Seinsch gerade in der erfolg­reichsten Spiel­zeit der Ver­eins­ge­schichte kein Spiel des FC Augs­burg live im Sta­dion hat sehen können. Bei Anpfiff geht er ent­weder spa­zieren oder ver­sucht sich im Arbeits­zimmer abzu­lenken. Das hatte sich schon vor Jahren ange­deutet. Bei ent­schei­denden Spielen hat er bes­ten­falls eine Halb­zeit geschafft“, sagt der Fan­be­auf­tragte Sianos, dann sei der Prä­si­dent und Vor­stands­vor­sit­zende von der Tri­büne gestürmt und auf­ge­regt vor dem Sta­dion her­um­ge­ti­gert. Doch was damals noch wie eine lus­tige Schrulle wirkte, war der Vor­bote einer gra­vie­renden Erkran­kung.

Meine Bat­terie war leer“

Im Sommer letzten Jahres machte Seinsch öffent­lich, dass er unter Depres­sionen leidet. Er legte dar­aufhin sein Mandat im Augs­burger Stadtrat nieder und zog sich nach Münster zurück. Meine Bat­terie war leer, auf einmal ging gar nichts mehr“, sagt er. Die Depres­sion sei in seinem Fall durch einen Mix von 45 Jahren extremer beruf­li­cher Anspan­nung und Kind­heits­er­leb­nissen“ aus­ge­löst worden. Viel mehr möchte Seinsch dazu nicht sagen, aber die jahr­zehn­te­lange, mani­sche Arbeit hatte auch damit zu tun, dass er mit aller Macht aus den in jeder Hin­sicht beengten und been­genden Ver­hält­nissen seines Eltern­hauses ent­fliehen wollte. Im Boom der Nach­kriegs­zeit drängte sich die Familie nicht nur zu viert in einem Raum, der Vater war dem Sohn auch noch uner­träg­lich: Er war Nazi, auch nach dem Krieg noch.“
Vor diesem Hin­ter­grund klingt es auch noch einmal anders, wenn Seinsch das Sta­dion des FC Augs­burg als Frie­dens­arena“ beschreibt, für Pro­tes­tanten, Katho­liken, Athe­isten, Klein und Groß, Schwarz und Weiß, Mann und Weib“. Nur er selbst hat dort seit dem Aus­bruch der Depres­sion seinen Frieden noch nicht wie­der­ge­funden. Es zieht mich ins Sta­dion“, sagt er, aber noch ist die Belas­tung zu groß, wenn es wirk­lich um etwas geht.

So sieht man Seinsch beim Fuß­ball der­zeit nur auf Regio­nal­li­ga­plätzen, wo er sich in Absprache mit Trainer und Manager nach talen­tierten Spie­lern umschaut. Weder gehöre ich zu den Erfin­dern des Fuß­balls noch habe ich gar keine Ahnung“, sagt Seinsch über seine Fähig­keiten als Scout, und plötz­lich klingt doch der fast kind­liche Stolz eines Fans durch, den die Prot­ago­nisten des Spiels ernst nehmen. Die Ergeb­nisse bespricht er mit Trainer Jos Luhukay und Manager Andreas Rettig am Kaf­fee­tisch in Münster – unter den Augen des Bud­dhas aus dem Gar­ten­center.

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