
Tirili: Endlich ist er da, der lang ersehnte Frühling. Die kilometerdicken Eisschollen schmelzen dahin, und keiner wird sie vermissen. Zu lange hat man sich durch den Winter gequält, man ist müde vom ewigen Zwiebellook, dem Pullover-Schicht-Prinzip, den dicken Socken und den klobigen Wintertretern. Wir wollen T‑Shirt-Wetter, Sonnenstrahlen und Frühlingsgefühle, statt Kragen hoch, Tunnelblick, Handschuh, Mütze und Schal.
Doch man muss zumindest letzte Zweifel haben, dass der Schal wirklich im Schrank mit den wolligen Winterklamotten verschwinden wird. Denn längst ist der Halswärmer nicht mehr nur nützliches Winterutensil, vielmehr ist der lange Stofflappen mittlerweile Ausdruck eines Lebensgefühls geworden. Schal trägt man heute im Café, auf der Tanzfläche und im Büro. Wer cool ist, trägt zwei Meter Stoff um Speiseröhre und Co. Längst hat sich der Schal von den äußeren Witterungsbedingungen emanzipiert. Der Schal ist zur neuen Krawatte für den Herrn geworden. Das gewisse Etwas, das dicke Ausrufezeichen unter den modischen Anhängseln. Die Handtasche für Männer. Eine Halstasche sozusagen.
Fransen-Modell aus Nikki
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich dieser Modetrend auch im Fußball niederlässt. Und siehe da, seit diesem Winter trägt man auch auf Fußballfeld Schal. Dachte man anfangs noch, die flauschige Halskrause würde seine nur seine ursprüngliche Aufgabe erfüllen – nur zur Erinnerung, das ist immer noch das Wärmen der Halspartie an kalten Tagen – ist man nun eines Besseren belehrt.
Florian Fromlowitz und René Adler, die Liga-Pioniere des Fußballerschals, wollen sich endlich nicht mehr nur abseits des grünen Rasen modebewusst präsentieren. Dicke Sonnenbrille, Gel-Frisur und Lederjacke, das reicht längst nicht mehr aus. Deswegen gilt jetzt gleiches Recht für alle. Und wenn mittlerweile jeder x‑beliebige Außenhandelskaufmann ungeschoren mit Schal im Büro auflaufen darf, dann wird die deutsche Fußballelite das wohl schon lange dürfen, oder etwa nicht?
Die Torhüter trugen fortan den Halstaschenkrawattenschal zur Schau und blieben nicht lange allein: Zvjezdan Misimović ließ sich beispielsweise seine Rückennummer auf die Halskrause pinseln, Hamburgs Zé Roberto trug am vergangenen Wochenende sogar ein Fransen-Modell aus Nikkistoff, für das jeder Pennäler auf dem Schulhof gehänselt würde. Dass er dieses blaue Ungetüm nicht als Wärmespender brauchte, offenbarte spätestens die Tatsache, dass der Brasilianer im Kurzarm-Trikot auflief.
Fremd im eigenen Land
Nun hat der Schal im Fußball eine unumstößliche Tradition. Auf den Rängen wird er seit den Gründungstagen der Fankultur geschwungen, umgehangen und verbrannt. Er ist der stoffgewordene Ausdruck von stolzer Zughörigkeit oder abgrundtiefer Abneigung, der Kurvendresscode und der kleinste gemeinsame Nenner zwischen kernigem Stehplatzveteran und Milchkaffee schlürfendem VIP-Logen-Schönling. Bei den Fans, da ist der Schal zu Hause, doch auf dem Feld wirkt er wie ein Fremder. Ein Fremder im eigenen Land. Und so bleibt es zu hoffen, dass der Frühling die Liga von diesem modischen Aussetzer rein wäscht.
Also: Schrank auf und hinein mit den ollen Wintersachen. Bis zum nächsten Jahr, Daunenjacke. Bis bald, Mütze, Handschuh und klobiger Winterstiefel. Auf Nimmerwiedersehen, Schal. Du alte Halstasche. Du hast richtig gehört: Hau ab! Denn wir wollen Dich nie wieder auf dem grünen Rasen sehen.
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